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Dykemark Sykehus Oslo

Mehr Raum durch neue Konzepte

Autorin: Stephanie Kleinlein
Fotografie: Nils Petter Dale, Paul Paiewonsky

In Dikemark, nahe der norwegi­schen Hauptstadt Oslo, haben die Architekten Jarmund & Vigsnæs eine ehemalige Krankenpflege­schule aus den 60er-Jahren in eine Wohnresidenz verwandelt. Wie erfindet man Gebäude neu, die dem Abriss geweiht sind? Und wie gibt man ihnen mit einer veränderten Raumstruktur wieder eine Existenzberechtigung? Eine Projektgeschichte, die Raumkonzeption neu erzählt und in die Zukunft nachhaltiger Architektur blicken lässt.


Wer etwas über Dikemark in Erfahrung bringen möchte und die gängigen Suchmaschinen bemüht, findet an erster Stelle einen Eintrag zum «Dykemark Sykehus», dem Spital von Dikemark. Das psychiatrische Krankenhaus gehört zu einem Klinikkomplex rund 30 Kilometer westlich von Oslo und hat seinen Namen von dem Hof, auf dem es 1905 errichtet wurde. Es ist bis heute in Betrieb. 1966 wurde auf dem Spitalgelände eine eigene Krankenpflegeschule gebaut. Doch im Laufe der Jahrzehnte veränderten sich die Bedürfnisse. Wohnheim und Schulungsgebäude blieben ungenutzt und waren im Verfall begriffen, bis sich der Eigentümer an die Architekten Jarmund & Vigsnæs wandte.

Ein Gebäude mit Qualität und Potenzial
Håkon Vigsnæs, einer der federführenden Architekten, erinnert sich an den ersten Eindruck von der Ruine: «Wir haben schnell erkannt, dass das alte Gebäude Qualität hatte und wir auf dieser Basis trotz des langen Leerstandes gut arbeiten konnten.» Dabei galt es, die signifikanten bau­lichen Merkmale – Geschossdecken und Wände aus Ort­beton im Inneren sowie Fassaden aus rotem Backstein und Stahlkonstruktionen im Aussenbereich – zu erhalten und auch weiterhin sichtbar zu machen. Die ursprüngliche Raumaufteilung sollte so sinnvoll wie möglich genutzt und intelligent transformiert werden. Was die Architekten vor­fanden, entsprach dem Pragmatismus, den man von der damaligen Zeit und dem Zweck des Gebäudes erwarten konnte. Das mehrgeschossige Wohnheim beherbergte die Pflegeschüler:innen in schlichten Einzelzimmern, die sich an den Aussenmauern entlangreihten. In der Mitte der Etagen befanden sich gemeinsam genutzte Räume. Das niedriger gelegene Gebäude bot auf zwei Stockwerken grosse Schulungs- und Unterrichtsräume. «Jedes Objekt hatte für sich das Potenzial modifiziert zu werden, ohne dass wir die Grundstruktur wesentlich verändern mussten», sagt Vigsnæs. Dort wo früher einzelne Pflegeschüler:innen wohnten, sollten zukünftig Familien, Paare oder Einzelpersonen in 43 attraktiven Apartments ein Zuhause finden. Im Schulungsgebäude sah das Konzept der Architekten gleich mehrere Reihenhäuser vor. Dabei galt es, das Bauvolumen bis auf einen zwingend benötigten Park­platz nicht zu vergrössern. Diese Abhängigkeiten waren für Vigsnæs, seine Partner und sein Team mehr Ansporn als Hindernis: «Als Architekt mit diesen Limitationen zu arbeiten, hat eine Qualität für sich. Es ist anders als ein Gebäude von Grund auf neu zu bauen. Man gewinnt etwas aus dieser Transformation, was sehr spannend ist».

Vorher - Original Plan 1966

Die Krankenpflegeschule mitsamt einem Wohnheim für Pflegekräfte entsprach dem damaligen Zeitgeist. Die Schüler:innen waren in schlichten Einzelzimmern untergebracht.

Nachher - Grosszügige Wohneinheiten

Der Einbau von Schiebetüren ermöglicht eine optimale Raumnutzung und verschafft ein besonderes Raumerlebnis.

Zeitgemässe Offenheit durch neue Raumkonzepte
Um aus dem Wohnheim einen Apartmentkomplex entstehen zu lassen, öffneten die Bauherren jene vertikalen Betonplatten, die zukünftig die Wände eines Zimmers innerhalb einer Wohneinheit bilden sollten. Die Wände, die die einzelnen Wohneinheiten abgrenzen, blieben durchgängig bestehen. Adjustiert wurde auch der Korridor, der vormals sehr lang war, um den Pflegeschülern den Zugang zu ihren Zimmern zu ermöglichen. Durch die Verringerung der Wohneinheiten konnte dieser Platz beim Umbau eingespart und in die Grosszügigkeit der Wohnungen investiert werden. Neue Wände zogen die Kreativen nur ein, wenn sie der Gewinnung zusätzlicher Wohnfläche dienten. An anderen Stellen bauten sie die Wände zurück. «Wo immer möglich, haben wir Schiebetüren integriert. Denn eine der Hauptideen in unseren Plänen war es, die Wände ent­lang der Fassade durchgängig zu gestalten. Mit geöffneten Türen entsteht so ein ganz besonderes Raumerlebnis, von dem wir glauben, dass es sich effektiv am besten mit Schiebetürlösungen verwirklichen lässt», erklärt Vigsnæs. Eine wesentliche Verbesserung stellt die Optimierung der Wände, Böden und Türen in Bezug auf ihre Energieeffizienz, Feuerfestigkeit und Akustik dar. 

Keine der baulichen Veränderungen beeinträchtigt die vorhandene Struktur. Die Geschossdecken in dem ehemaligen Wohnheim konnten sogar vollständig genutzt werden. Nur in ehemaligen Schulungsräumen wurden sie geöffnet, um in den unterschiedlich grossen Reihenhäusern Öffnungen für Innentreppen und Lichtschächte zu schaffen. Diese werden durch ein Oberlicht erhellt und lassen Räume mit doppelter Höhe entstehen.

Freier Blick und gemeinsame Flächen
Eine durchgängige Glasfassade kreiert eine ästhetische Korrespondenz zwischen dem Aussen- und dem Innen­raum und öffnet den Blick auf die unverbaute Umgebung inmitten eines Waldes. Auch ihr Einbau ist den Qualitäten der ursprünglichen Konzeption zu verdanken, denn erst die Tiefe des Gebäudes schaffte die Bedingungen für den Einbau von Fenstern vom Boden bis zur Decke. Genau so ermöglichte sie die erforderliche Energieeffizienz, denn in Norwegen darf der Anteil an Fenstern und Türen in den Aussenwänden nicht höher sein als circa 25 Prozent der Bodenfläche.
 

Die neue Fassade des Hochhauses spiegelt zudem den Rhythmus der ursprünglichen Backsteinfassade wider, deren Fensterbänder unterschiedlich hoch sind. Ein neues Element sind die Balkone. Jedoch erwiesen sich die Ge­schossdecken aus Beton zwischen den Etagen als nicht tragfähig genug, um diese im herkömmlichen Rahmen stützen zu können. Sie wurden deshalb aus Holz konstru­iert und im Apartmenthaus von der vom Dach abgehenden Stahlkonstruktion gestützt, die ebenfalls ein wertvolles Element aus der alten Zeit ist. Das Verhältnis der Gebäude zueinander liess genügend Raum für einen Vorplatz. Ehemals nicht mehr als das, ist er heute ein Ort der Begegnung mit Gemeinschaftsräumen und Spielplätzen.

Ökonomie und Nachhaltigkeit
Neben dem offensichtlichen Vorteil für die Nachhaltigkeit, der mit der Neu- und Umgestaltung bestehender Gebäude einhergeht, spielt auch immer die Frage nach der Wirtschaft­lichkeit eine Rolle. «Transformation», sagt Vigsnæs, «muss immer lohnenswert sein.» Anders als oft angenommen wird, ist die Sanierung und Umgestaltung alter Gebäude durch neue Raumkonzepte nicht grundsätzlich günstiger als ein Neubau. «Es kommt stark darauf an, wie zu Beginn kalku­liert und während des Projektverlaufs miteinander kommuni­ziert wird». Eine enge Zusammenarbeit zwischen Auftraggeberinnen, Architekten, Bauherrschaft und Zulieferern hilft, das Gleichgewicht zwischen Wirtschaftlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit zu wahren.

Umdenken und Umbauen
Dennoch erkennt Vigsnæs in seiner Branche ein Umdenken in Bezug auf den Erhalt alter Gebäude: «Die Anzahl an Transformationsprojekten nimmt stark zu. Noch vor drei Jahren wurden hier Schulen abgerissen, die wir heute mit Hilfe neuer Raumkonzepte zu anderen Nutzungszwecken umbauen würden», sagt der Architekt. Speziell die jüngere Generation an Architektinnen und Bauherren wächst mit einem Bewusstsein für Nachhaltigkeit auf, das die Nutzung alter Bausubstanz und die Wiederverwertung von Materialien genauso selbstverständlich mit einbezieht wie eine Gebäudekonzeption, die einen späteren Umbau für andere Nutzungszwecke grundsätzlich ermöglicht.

Architekten Jarmund & Vigsnæs,
heute Vigsnæs+Kosberg und Einar Jarmund & Co

Das Architekturbüro Jarmund & Vigsnæs wurde 1996 von Einar Jarmund und Håkon Vigsnæs in Oslo gegründet. Es erhielt für seine Gebäude, die als supermodern bis neuminimalistisch gelten, internationale Anerkennung. 2019 formierten sich die beteiligten Architekten neu zu Vigsnæs +Kosberg und Einar Jarmund & Co. Håkon Vigsnæs war Gastdozent an der Washington University von Missouri und ist im Vorstand der Osloer Architektenvereinigung.

Den Beitrag zu «Mehr Raum durch neue Konzepte» finden Sie auch in unserem Slide #4. In dieser Ausgabe des Magazins erfahren Sie mehr über die Werte, welche die Architektur und uns aktuell bewegen. Sie lesen von einem Architekturbüro aus den USA, das Zuhören an erste Stelle setzt und wir nehmen Sie mit, wenn in der Schweiz eine barrierefreie Wohnung geplant wird.

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